Der Schmarrn vom Zahnwurm – Zahnmedizin im Alten Rom

“Du elender Wurm, du!” ein einst geflügeltes Wort, ein Schimpfwort. Heute eher harmlos und ausgestorben. Früher war mehr Gewürm, schließlich gab es den Bücherwurm – jemand, der gerne liest, den Ohrwurm – ein Lied, das man gerne hört und den heutzutage wohl vergessenen Zahnwurm. Immer schon versuchte der Mensch seine Welt zu erklären, auch seine Krankheiten. Würmer spielten dabei eine große Rolle. Eine verbreitete Therapie war der Aderlass mittels eines Blutegels, auch im engeren Sinne ein Wurm. Der Lindwurm wiederum war eine Umschreibung für einen Drachen, bekannt aus der deutschen Nationalsaga, dem Nibelungenlied mit Siegfried und Brunhild in den Hauptrollen. Früher nahm man es nicht so genau, Wurm war Wurm, ob Fliegenlarve, Raupe, Regenwurm oder ein Blutegel. Bereits zur Römerzeit galt der Zahnwurm als Wurzel allen Übels. Man hat ihm zum Leidwesen der Patienten mit kochendem Wasser besiegen wollen.

Wie alles begann

Über die Ägypter haben wir schon geschrieben. Ihre Kultur und ihr Wissen gingen in die griechische Zivilisation und dann in die römische über. Die Zahnheilkunde entwickelte frühen in der römischen Geschichte. Ein griechischer Arzt namens Archagathus scheint dafür verantwortlich zu sein. Zu den antiken römischen oralchirurgischen Instrumenten gehörten Küretten, Osteotome, Kauter, Skalpelle, Knochenzangen und Knochenhebel. Anders als im Mittelalter, wo die Barbiere brutal Zähne zogen und höchstens Alkohol als Betäubungsmittel zum Einsatz kam, verwendeten die alten Römer bereits Narkotika bei Zahnoperationen. So fortschrittlich sie hier waren, was das OP-Besteck anging, so schwach waren sie in der Theorie, wenn sie an den „Zahnwurm“ glaubten. Andererseits war eben damals alles voller Getier. Insekten waren verbreiteter als heute, es wimmelte förmlich überall von ihnen und ihren Larven.

Den Briefen sei dank

Danke der Überlieferung von römischen Briefe und Texten durch die Araber und Mönche haben wir heutzutage eine recht gute Quellenlage. Vor allem die Schriften von Plinius dem Älteren, einem römischen Schriftsteller des 1. Jahrhunderts, sind auf uns übergekommen. In seiner Zeit beschränkte sich die Medizin auf beliebte Hausmittel und nicht auf professionell ausgebildete Ärzte. Erst der griechischen Arzt Archagathus, der nach Rom reiste und sich als Arzt etablierte, schuf so etwas wie ein Berufsbild. In der Menschheitsgeschichte scheinen es immer wieder einzelne Persönlichkeiten zu sein, die andere zum Nachdenken und Nachahmen einladen. Pierre Fauchard sollte so eine Rolle im frühen 18.Jahrhundert in der Zahnmedizin spielen! Gleichzeitig verschreckte die Arbeit des Archagathus seine Mitmenschen, was seine Gegener ausgenutzt haben dürften: man bezeichnete ihn als “Schlächter”, weil er angeblich Stahl und Feuer für seine Behandlung einsetzte. Archäologische und historische Beweise widerlegen diese Horrorerzählung. Wenn er instinktiv Feuer zum Sterilmachen der OP-Instrumente einsetzte, wäre das sehr weise gewesen. Denn von Bakterien und Viren wusste man zu dieser Zeit noch nichts, immer mussten die sichtbaren Würmer dafür herhalten und natürlich auch die unsichtbaren, denn wer hatte schon einmal einen Zahnwurm gesehen?

Die sogenannten Zwölftafeln – Gesetze, die die Grundlage des römischen Rechts darstellen – erwähnen mit Gold beladene Zähne, ein Indiz, dass in dieser Zeit Zahnmedizin praktiziert wurde. Weitere Beweise sind der Fund von Prothesenmaterialien zur Behandlung von Zahn- und Mundgesundheitsproblemen in römischen Städten wie Teano. An unterschiedlichen römischen archäologischen Fundstätten wurden zahnärztliche Instrumente ausgegraben, so dass man davon ausgehen kann, dass die Zahnheilkunde weit in der gesamten römischen Welt verbreitet war. Ob es bereits einen Zahnarzt gegeben hat, bleibt unklar. Möglicherweise gab es medizinische Spezialisten, die auch Zahn-OPs durchführen konnten. Oder die Zahnmedizin wurde als Untergruppe anderer Berufe wie der Friseurkunst praktiziert.

Spiel mit dem Feuer

Im 3. Jahrhundert beschrieb der Heilige Dionysius die Geschichte der Heiligen Apollonia, die angeblich von einem Mob Heiden brutal zusammengeschlagen wurde. Laut dem Heiligen Dionysius schlugen Heiden ihr die Zähne aus und drohten, sie zu verbrennen, wenn sie nicht Gott lästerte. Als Reaktion darauf soll sie sich ins Feuer geworfen haben. So wurde sie in der christlichen Tradition zur Schutzpatronin der Zahnheilkunde.

Der in Rom tätige griechische Anatom Galen kommentierte im 2.Jahrhundert n. Chr. die Arbeit von Hippokrates, indem er Zähne als Knochen erkannte und ihre besonderen Merkmale im Vergleich zu anderen Knochen herausstrich. Er war der erste, der Nerven in Zähnen entdeckte und bei seinen Forschungen sieben Hirnnerven identifizierte.

Zähnebleichen mit Urin und Milch

Wenn man die lateinischen Texte untersucht, findet man immer wieder auch Bezüge zur Zahnheilkunde: Man erfährt dann, wie die Römer bereits eine erste Form von Bleaching anwendeten. Sie bleichten laut Scribonius Largus, einem römischen Arzt aus dem 1. Jahrhundert, ihre Zähne mit einer Zahnpasta aus menschlichem Urin und Ziegenmilch. Die Frau von Kaiser Claudius, Messalina würde für den Tagesbedarf eine Zahnpasta aus Mastix, Salmiak und verkalkten Hirschhörnern benutzen. Zahnstocher waren bei den ausgiebigen Gelagen der Römer in Verwendung. Sie bestanden normalerweise aus Mastixholz. In einigen Fällen sollen stattdessen Federn oder Gold verwendet werden. Plinius lobte Zahnstocher aus Stachelschweinborsten, sie würden die Zähne härten.

Cicero, ein römischer Politiker und Schriftsteller aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., dessen Texte noch heute Lateinschüler beschäftigen, erwähnt ein Gesetz, das es verbot, Leichen mit Gold zu begraben, es sei denn, sie hätten goldene Zahnimplantate. Historiker sehen darin einen Beweis, dass Goldimplantate damals üblich waren, sonst hätte es keine Notwendigkeit gegeben, sie hervorzuheben.

In seinen Epigrammen (Kurzgedichte oder Spottverse; siehe Beispiel) macht sich der im ersten Jahrhundert nach Christus lebende römische Dichter Marcus Valerius Martialis, kurz Martial genannt, oft über andere lustig, die falsche Zähne benutzen. Da wird eine einäugige Prostituierte verspottet, weil sie falsche Zähne und eine Perücke benutzt. Eine alte Dame wird wegen ihrer falschen Zähne aus Knochen und Elfenbein verlacht und ein Mädchen namens Maximina wegen ihrer falschen Zähne aus Buchsbaum und Pech verhöhnt. Martial beschreibt einen Zahnarzt namens Cascellius, der im 1. Jahrhundert n. Chr. am in Rom arbeitete und Zähne mit Blei verfüllt haben soll.

Auch der bereits erwähnte Plinius der Ältere hat in seiner Naturalis Historia (23–79 n. Chr.) von Füllmaterialien für hohle Zähne geschrieben. Bei der Ausgrabung von Satricum wurden in der Tat römische Goldkronen aus dem Jahr 100 v. Chr. gefunden. Es waren nicht die einzigen Funde dieser Art!

Die Asche verbrannter Mäuse

Um der leider verbreiteten Zahnschmerzen Herr zu werden, beschrieb er verschiedene Gebräue aus der Asche verbrannter Regenwürmer und Mäuse, gemischt mit Wurzeln aus dem Moor und Honig, in Wolle eingewickelten Spatzenkot; oder Schlangenhaut gemischt mit Öl, Harz und Pechkiefer und dann ins Ohr gegossen. Plinius schreibt außerdem von einem Patienten, der nach einer Behandlung gegen Zahnschmerzen, die aus Wachs und Asafoetida (das ist das aus der Teufelsdreck-Blume gewonnene Harz!) bestand, Selbstmord beging. Gut, dass wir heute weiter sind und zur Schmerztherapie viele Mittel bei der Hand haben. Spatzenkot muss sich heute niemand mehr beim Zahnarzt in Spandau oder andernorts ins Ohr gießen lassen.

Statue des Marcus Tullius Cicero

Thais habet nigros, niveos Laecania dentes.

Quae ratio est? Emptos haec habet, illa suos.

Epigramm von Martial, ein Beispiel.

Übersetzung: “Weiße Zähne besitzt Läcania, schwarze die Thais. – Woher kommt es? Sie trägt ihre, gekaufte die [andere].”

Hippokrates lebte im 5.Jhd. v.Chr. und war bereits zu Martials Zeiten eine Ikone.


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