Wer diesen Artikel liest, so wie ich als Zahnarzt in Spandau, der sollte in Zukunft darauf achten, ob er seinen Kaugummi einfach irgendwo in die Gegend pfeffert. Nicht nur, dass das Ordnungsamt eine saftige Strafe ausstellen kann, wenn man dabei erwischt wird. Geld, das man lieber für eine Zahnprophylaxe oder eine neue elektrische Zahnbürste verwenden sollte. Nein, es kann gut sein, dass der Kaugummi in ein paar tausend Jahren von Wissenschaftler gefunden wird, die daraus einiges ableiten können. Im Kaugummi bleiben DNA-Spuren enthalten, die bei entsprecheneder Technologie ermöglichen würden, aus dem Erbgut einen Klon herzustellen. Den könnte man dann in wissenschaftlichen Tests gründlichst untersuchen, um mehr über die Menschen des 21.Jahrhunderts herauszufinden. Wer will das schon? Ich nicht. Ich werde also meinen Kaugummi immer nach Gesetz und Ordnung in einen Müllcontainer schmeißen, damit dieser mit dem Restmüll thermisch entsorgt wird. Als Zahnarzt muss man ja auch Vorbild sein.
Natürlich ist mir als Zahnarzt in Spandau mal wieder die Fantasie durchgegangen, als ich morgens um sechse über meiner Berliner Tageszeitung mit einem Kaffee sinnierte. Noch ist die Technik nicht so weit. Aber tatsächlich wurde jetzt ein Kaugummi gefunden, das mehr als 5700 Jahre alt ist. Es war kein Bubblegum, wie wir es kennen, sondern ein Stück Birkenpech. Es gehörte einer Frau, die darauf herumgekaut hat und in ihm Spuren ihres Erbguts hinterlassen hat.
Aus der Analyse der DNA, die im Fachblatt Nature Communications erscheint, geht folgendes hervor: Gekaut wurde das Stück Birkenpech von einer blauäugigen Frau mit dunkler Haut und dunklem Haar. Wir wissen auch, was die Frau zuletzt gegessen hatte, bevor sie das Stück Birkenpech ausspuckte: Die Forscher fanden genetische Spuren von Nüssen und Ente, sowie von Bakterien und Viren. Die in dem Kaugummi steckenden Erbgutinformationen bieten demnach Einblick in die Lebenswelt der 4.000 Jahre vor Christi Geburt lebenden Menschen. Zum ersten Mal konnte ein vollständiges menschliches Genom aus etwas anderem als Knochen gewonnen werden, freut sich der Studienleiter Hannes Schroeder von der Universität Kopenhagen. Lokalisiert wurde das Birkenpech-Kaugummi bei Ausgrabungen auf der Insel Lolland im Süden Dänemarks (siehe Karte). Birkenpech gewinnt man durch Erhitzen von Birkenrinde. Es wurde Studien zufolge bereits vor 200 000 Jahren von Neandertalern hergestellt und genutzt. Das Material diente vor allem als Klebstoff und Dichtungsmasse und kommt auch heute noch zum Einsatz.
Birkenpech gegen Zahnschmerzen
Zahnabdrücke finden sich auf vielen Fundstücken. Das Birkenpech muss gekaut worden sein. Gut möglich, dass es so vor der Verwendung weich gekaut werden sollte. Es könnte aber auch zur Behandlung von Zahnschmerzen oder Entzündungen verwendet worden sein, da es keimtötende Inhaltsstoffe aufweist. Vielleicht hat es auch einfach nur Spaß gemacht, ein Stück Birkenpech zu kauen!
Aus dem nun gefundenen Stück isolierte das dänische Team DNA und analysierte sie. Der menschliche DNA-Anteil erlaubte Rückschlüsse auf körperliche Merkmale der Frau. Der dunkle Hauttyp sei nicht ungewöhnlich für Jäger und Sammler im damaligen Europa. Die heute typische, hellere Haut habe sich erst später entwickelt. Milchzucker vertrug die Frau nicht — auch diese Eigenschaft entwickelte sich später, mit der Einführung der Milchwirtschaft bei frühen Bauern. Ihr Erbgut lässt auf Verwandtschaft mit westlichen Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften schließen.