Faule Zähne durch Mehl

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Was alte Zähne erzählen: Die Brandenburger Slawen lebten tierisch-proteinreich und kariesarm. Mit dem Mehl kam die Zahnfäule. Eine Berliner Anthropologin hat Tausende von Zähnen untersucht, darunter auch welche von Spandauer Bürgern aus dem Mittelalter.

Der Bauboom fördert die Ausgrabungen in unserer Region und fördert damit auch vermehrt archäologische Funde zutage, die Aufschluß darüber geben, wie unsere Vorfahren gelebt haben. Die bessere Anaylsetechnik macht es möglich, dass auch so kleine Fundstücke wie Zähne unter die Lupe genommen werden können und Rückschlüsse auf die Ernärhung unserer Vorväter und – mütter zulassen. Wie war es um deren Zahngesundheit bestellt? Sind Karies und Paradontose typisch für die Neuzeit oder haben sich die alten Brandenburger und Berliner auch schon damit herumgeschlagen?

 

 

Foto: Weizenfelder in Brandenburg

Die frühsten Bewohner unserer Region gehörten den Slawen an. Diese siedelten sich gerne an Gewässern an und betrieben dort Fischfang. Sie ernährten sich im Stil der gerade in Berlin in einigen Szenerestaurants vertriebenen Paläodiät. Die sogenannte Steinzeitmenschenkost besteht aus Fleisch, Fisch Eier, Nüssen und Obst. Nichts Angebautes ist darunter, denn Steinzeit ist die Zeit vor der Erfindung des Ackerbaus. Wie die in unsere Zeit hinübergekommenen Funde zeigen, ging es den Jägern und Sammlern aus der Epoche vor der neolithischen Revolution, die vor etwa 10 000 Jahren stattfand, gesundheitlich besser. Mit dem Sesshaftwerden wurde die Nahrungsversorgung instabiler, auch wenn das ein Widerspruch in sich zu sein scheint. Ackerbauern und Viehzüchter begaben sich in größere Abhängigkeit vom Wetter. So wie die trockenen Sommer heute den Brandenburger Bauern die Ernte versemmeln, so wirkten sich Wetterkapriolen damals noch viel existenzieller auf das Leben aus, es gab ja keine Einfuhren aus anderen Ländern, die die Missernten ausgleichen konnten. Keine Ernte aber oder eine verminderte bedeutete den Hungertod für viele Menschen. Die geringere Lebenserwartung lässt sich direkt aus den Funden der prähistorischen Gräberfelder ableiten: Brachten es die Steinzeitmenschen im Schnitt auf 30 Jahre, kamen die Sesshaften nur noch auf 20. Mehr Kinder wurden geboren, doch diese starben mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr früh. Neben dem Hunger starben die Menschen vor allem an Infektionskrankheiten. Und da sind wir gleich bei den Zähnen: der Mundraum ist ein Einfallstor von Keimen. Spuren von Krankheiten sind auch an den geborgenen Zähnen erkennbar – bis heute. Unsere Ahnen aßen Vollkorn. Muss das nicht sehr gesund gewesen sein? Für die Berliner Anthropologin Bettina Jungklaus ist die Steinzeit ein wichtiges Forschungsgebiet; sie möchte mehr wissen über das Leben der alten Brandenburger. In ihren Studien spielt der Übergang von protein- und kohlehydratdominierter Kost eine bedeutende Rolle. Bettina Jungklaus hat die frühen Templiner, Bernauer und Spandauer untersucht, also das, was von ihnen übrig geblieben sind. Wie aus einem Buch liest sie aus deren Zähnen, ob sie arm oder reich gewesen sind. Ob und in welchem Lebensabschnitt sie gehungert haben. Wie die Ringe bei einem Baum, so hinterlassen die Lebensabschnitte Spuren im Schmelz der Zähne. Die Untersuchungen setzen erst im Hochmittelalter (10. bis 12. Jahrhundert) ein. Hier gab es einen eklatanten Kulturwandel, der es erst ermöglichte, dass auslesbare Funde sich in die Neuzeit retten konnten: Bis um das Jahr 1000 verbrannten die Slawen ihre Toten, unter christlichem Einfluss gin-gen sie dann zur Erdbestattung über. Erst ab dieser Zeit kann man Skelette und Zähne untersuchen. Die Slawen waren aber bereits im späten 7. Jahrhundert in das heutige Brandenburg eingewandert. Der Reisebericht des jüdischen Händlers Ibrahim ibn Ja’ qub aus dem Jahr 973 schwärmt von Brandenburg, es gebe dort billiges Korn und großen Pferdereichtum.

Ibrāhīm ibn Yaʿqūb war ein Gesandter des Kalifen von Córdoba aus dem muslimisch geprägten Tortosa, der in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Mitteleuropa bereiste.

Für Bettina Jungklaus sind reiche Getreideernten in dieser Zeit wohl eher selten. Der Ernteertrag lag bei zwei bis 15 Körnern pro ausgesätem Samenkorn. Nur unter günstigen Bedingungen reichten die Erträge zu mehr als bloßem Überleben. Die Technik war wenig entwickelt: Ochsen zogen Hakenpflüge, die den Boden nur ritzten. Der Ackerbau war aber ohnehin nicht die bevorzugte Nahrungsquelle der Slawen, die lieber der Fischerei nachgingen. Mit der Christianisierung, die mit der Eroberung der Mark Brandenburg durch Albrecht den Bären (nach 1150) forciert wurde, änderten sich zwar die Totenrituale, doch gewährten die deutschen Herren den Slawen über die Jahrhunderte immer wieder neu ihre Fischereiprivilegien. 112 Gebisse mit 2 303 Zähnen nutze Jungklaus für ihre Ernährungsstudien. Sie stammen aus dem Havelland mit agrarischer Lebensweise sowie aus den frühstädtischen Bevölkerungen Spandaus und Wusterhausens. Ein Ergebnis zeigt auf, dass „die Kariesbelastung slawischer Bevölkerungen erstaunlich gering war, was möglicherweise mit einem hohen Konsum proteinhaltiger Lebensmittel wie Fleisch, Fisch und Milchprodukte in Verbindung steht”. Karies tritt zwar auf, ist aber nicht das eigentliche Zahnproblem. Im Havelland fanden sich an 44 Prozent der Gebisse Karies-Schäden; 3,9 Prozent der Zähne insgesamt waren betroffen. Im frühstädtischen Spandau mit wahrscheinlich „besserer” Versorgungslage, waren 63,6 Prozent der Individuen befallen und jeweils 7,9 Prozent ihrer Zähne. Interessant, dass die Städter schlechtere Zähne haben als die Landeier!

Das größere Zahnproblem lag im Grad der Abnutzung: Alle Gebisse waren abgeschliffen, teils standen nur noch Stümpfe. Die Menschen müssen schreckliche Zahnschmerzen gehabt haben! Es war so, als ob die Brandenburger damals Sand mit ihren Kiefern zerrieben hätten. Tatsächlich rühren die Zahnschäden von der schweren Kauarbeit her: harte Nahrung, ein hoher Anteil an Hartfasem und viele Schmirgelpartikel in der Nahrung. Hauptverantwortlich ist die harte Hirse, vor allem aber die Mehlaufbereitung. Was heute als besonders naturnahe Herstellungsweise gefeiert werden würde, ließ damals die Menschen leiden: harte Spelzen und Steinpartikel der Mühlsteine gerieten in die Nahrung. So wurde aus Bio-Hirsebrei Schmirgelmasse.

 

 

 

Foto: Stadtmauerreste aus dem Mittelalter in Templin

In der Mitte des 12. Jahrhunderts setzte die Kolonisierung unserer Heimat durch den Zuzug deutschsprachiger Siedler ein. Sie kamen vor allem aus dem Rheinland und Flandern. Sie gründeten Dörfer und Städte, brachten neue Lebensweisen mit, erweiterten die Ackerflächen und verbesserten den Getreideanbau. Statt Ochsen zogen Pferde die neuen bodenwendende Pflüge. Die Ernteerträge stiegen, mehr Menschen konnten ernährt werden. Das Mehl wurde besser gemahlen, der Fleischkonsum sank, mehr Kohlenhydrate wurden konsumiert. In den Städten legte man sich Vorräte an. Für diese Zeit des Spätmittelalters (12. bis 15./16 Jahrhundert) konnte Jungklaus 584 Gebisse mit 11 000 Zähnen untersuchen. Karies ist weit verbreitet und die Gebisse sind diffenzierter, es gibt starke soziale Unterschiede. Dazu zwei Beispiele: Die auf dem Friedhof des Hospitals von Templin Begrabenen gehörten zu den Armen, Kranken, Gebrechlichen; ihre Gebisse waren zu 78 Prozent kariös, 18,8 Prozent ihrer Zähne zeigten im Durchschnitt derartige Schäden. Ganz anders die am Dominikanerkloster Strausberg Begrabenen — sie gehörten dem Adel oder zumindest der Oberschicht an. Von diesen litt im Vergleich zu den Armen nur die Hälfte, 42,7 Prozent unter Zahnfäule, und nur ein Viertel im vergleich zu den Templinern, vier Prozent der Zähne, waren betroffen. Die Strausberger lebten stärker von proteinhaltigen, hochwertigen Speisen wie Fleisch, Fisch und Eiern. Ähnlich verhielt es sich mit den Wohlhabenden der Stadt Bernau. Ihr Zahnabrieb war viel geringer. Sie müssen Brot aus feinerem Mehl gegessen haben. Das Herrenbrot wurde aus Weizen gebacken, das Volksbrot aus grobem Roggen. Dafür hatten die reichen Bernauer, die wahrscheinlich auch Zugang zu süßen Leckereien wie importierte Rosinen hatten, deutlich häufiger Karies. Nahezu jeder Bernauer war betroffen. Auf dem Lande lebte man einfach, vielfach nur von Getreidebrei, aß kaum Gemüse. In den langen Wintern entwickelte sich die durch Vitamin-C-Mangel verursachte Massenkrankheit Skorbut. Fast die Hälfte der Kinder litt unter schwersten Mängeln auf. Richtig schlimm wurde die Situation in der frühen Neuzeit (16. bis 18./19. Jahrhundert). Vor allem die sogenannte Kleine Eiszeit mit Missernten und der Dreißigjährige Krieg führten zur Katastrophe: Die Einwohnerzahl schrumpfte erheblich. Drastisch weniger Fleisch wurde konsumiert und die steigenden Lebensmittelpreise stürzten die Ärmeren in Hungersnöte. Der Siegeszug der Kartoffel trat erst nach 1738 als Armenspeise ins Leben der Preußen. Auf nahezu hundert Prozent wurde der Kariesbefall am Ende durch zwei Erfindungen der Neuzeit getrieben: die Verwendung von Zuckerrüben zur industriellen Zuckerherstellung im 19. Jahrhundert und die Walzenmühlen, die Keime und Kleie ausschieden und weißes, aber vitamin- und nähr-stoffarmes Mehl ergeben. Von Zähneputzen hatten unsere Ahnen noch nichts vernommen, jedenfalls nicht in unserer Region. Und die Steinzeit-Kaugummis aus Birkenpech dienten eher der Betäubung schmerzender Zähne als der Pflege. Die Frage, ob nun vegetarische oder fleischreiche Ernährung besser sei, spielt für den Zahnzustand heute keine wichtige Rolle. Eines ist klar, weniger Zucker ist besser. Und neben dem Putzen die Vorsorge beim Zahnarzt ihres Vertrauens.

 

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