Als Zahnarzt Angst vorm Zahnarzt? Geht so etwas? Vielleicht steckt dahinter etwas von meiner Motivation, selbst Zahnarzt zu werden. Ich habe es selbst erlebt, das Gefühl von Angst, lang ist es her. In meiner Kindheit schickte mich meine Mutter alleine zum Zahnarzt. Ich ging noch zur Grundschule, zweite oder dritte Klasse und direkt daneben war eine Praxis für Zahnheilkunde.
Ohne Google keine Orientierung
Google gab es damals noch nicht, also auch keine Rezensionen, keine Bewertungen, die einen hätten warnen können. Meine Mutter hatte ins Telefonbuch geschaut und für mich einen Termin gemacht. Gleich nach der Schule. Das passte. Man hatte halt Vertrauen zu einem Mann mit weißem Kittel. Probleme mit Karies hatte ich damals nicht. Es ging nur um einen Kontrollbesuch. Ganz harmlos. Die guten Zähne vom Vater geerbt, meinte meine Mutter, die mich also losschickte, was soll da schon schiefgehen. Mama hatte keine Ahnung!
Die Arzthelferin zog die Spritze auf
Kaum saß ich auf dem hohen Stuhl, wies der Zahnarzt seine Gehilfin an, sie möge bitte die Tür verschließen. Dann wandte er sich wieder mir zu: Mein Kiefer sei zu klein für all die Zähne und die, die noch kommen werden und müsste dringend gebrochen werden. Heute! Die Zahnarzthilfe zog schon eine erste Spritze auf und legte sie auf ein silbernes Tablett neben den Behandlungsstuhl. Der Arzt selbst näherte sich mir mit seinen behandschuhten grünen Händen. Hinter seinem grauen Bart war kein Lächeln zu sehen. Er erinnerte eher an ein wildes Tier, das sich auf Jagd befand. Ich war die Beute. „Helga! Noch eine Spritze bitte!“ Wer da keine Angst vorm Zahnarzt hat … .
Ich war gezwungen zu lügen
Ich bekam einen gehörigen Schrecken und war selbst über mich überrascht, als ich ganz cool blieb und schlagfertig erwiderte: Ich wäre ja schon in Behandlung bei einem Kieferorthopäden, da müsste er meinen Kiefer doch nicht brechen. Die Arzthelferin senkte die Spritze und fror in ihren Bewegungen ein. Sie schaute verwirrt zum Doktor. Der aber ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen von einem neunjährigen Knilch und fragte mich nach der Adresse. Die wusste ich natürlich nicht. Denn ich war ja bei keinem Kieferorthopäden. Das war eine Notlüge. Meine Mutter hatte mal davon gesprochen, aber ich war ja noch nicht ausgewachsen und man hatte ihr geraten, einen Termin zu machen, wenn ich mindestens elf sei. Beim Vorbeifahren mit dem Auto hatte aber meine Mutter mir gezeigt, wo sich der Kieferorthopäde befindet und die Erinnerung daran half mir jetzt. Ich beschrieb dem Zahnarzt den Weg und er konnte mir folgen. Umso näher ich dem Ort in meiner Beschreibung kam, umso ärgerlicher schaute er mich an und wies mir letztendlich genervt den Weg zur Tür.
Ich rannte um mein Leben!
„Dann kann ich ja heute nichts mehr für Dich tun! Helga, mach dem Jungen die Tür auf!“ Ich schlüpfte an der matronenhaften Zahnarzthelferin vorbei raus ins Vorzimmer und dann nur weg! Ich rannte mit pochendem Herzen nachhause zu meiner Mutter wie um mein Leben. Meine unerwartete Chuzpe hatte mir sozusagen das Leben gerettet. Ansonsten hätte man mir den Kiefer gebrochen. Gleich an zwei Stellen hatte er es tun wollen, damit er größer geworden wäre. Zu diesem Zahnarzt bin ich nie wieder gegangen. Woanders bin ich besser behandelt worden. Aber die Erinnerung, ein Schatten der Angst ist geblieben.
Wie Sie sehen, kann ich mich aus eigener Erfahrung gut in Angstpatienten hineinversetzen.